Schweizer Event: “20000 im Berg” oder eine Zeitreise in den Kalten Krieg

Event in der Schweiz

Vor einigen Wochen vernahm man auch hier in Karlsruhe die Kunde von einem ganz besonderen Event in Luzern (Schweiz): „20000 im Berg“.

Das Listing hörte sich vielversprechend an, denn man sollte die Gelegenheit erhalten, die größte unterirdische Bunkeranlage der Welt zu besichtigen.

Das ließ ich mir natürlich nicht entgehen und gemeinsam mit einer kleinen Gruppe von Cachern ging es am 5. April in die schöne Schweiz.

MrBonBon begrüßt weit angereiste Geocacher

Mitten in Luzern kann man mittlerweile über einen Spielplatz den ehemaligen Versorgungstrakt des riesigen Bunkers betreten.  Bereits das Eingangsschild kündigt an, um was es hier geht: unterirdisch überleben. Hier lerne ich den Owner, MrBonBon kennen, der unter einem Pavillon die Eintrittskarten verteilt und die Geocacher begrüßt.

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MrBonBon cacht seit 2012, hat aber eine ganz besondere Leidenschaft entwickelt: er organisiert jedes Jahr fünf Events, die Interessierten die zahlreichen unterirdischen Zivilschutzanlagen in der Schweiz zeigen sollen.  „20000 im Berg“ ist das bisher best besuchte Event, erzählt er mir. 380 Geocacher nehmen teil, ungefähr die Hälfte kommt aus dem Ausland. Sogar Besucher aus Luxemburg haben die weite Anreise auf sich genommen. Mit diesen Events möchte MrBonBon die Vergangenheit lebendig halten, so seine Motivation.

Durch den Tunnel in den Berg

Zusammen mit einer Gruppe von 80 Geocachern betreten wir einen langen Tunnel, der uns abwärts ins Innere des Berges führt. Rechts an der Wand sind  gelbe Striche zu erkennen, die überhaupt nicht mehr aufzuhören scheinen. Hier soll der Eindruck der großen Zahl 20000 vermittelt werden, denn die Zivilschutzanlage Sonnenberg sollte genau soviele Bürger beherbergen.

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Zeit des kalten Kriegs

In einem kurzen Film werden wir über die Zeit des Kalten Krieges informiert. Die Schweiz, als neutrales Land, bekannte sich zur bewaffneten Neutralität. Im Falle eines Angriffs war man zwar gewappnet sich zur Wehr zu setzen, aber die Ängste zwischen den Supermächten USA und der UdSSR in einem Atomkrieg zermalmt zu werden, waren groß. Der Zivilschutz sollte dafür zuständig sein, die Bevölkerung zu schützen. 1969 erschien ein sogenanntes „Zivilschutzbüchlein“ welches an jeden Haushalt ausgeteilt wurde. An der darin enthaltenen Geschichte über die gefährlichen Tarasken war die Angst vor einem ideologischen Angriff durch Spione und kommunistische Agenten klar erkennbar.  Wie wir von unserem 26-jährigen Guide Claudio Birnstiel erfahren, war diese Zeit nicht gerade rühmlich für die Schweiz. Von Seiten der Regierung wurde die Bevölkerung aufgefordert, Nachbarn zu beobachten und zu beschatten um eventuelle Sicherheitsrisiken gleich aufzudecken. Tatsächlich  fand man 1989 mehr als 10000 Akten, die über Privatpersonen angelegt worden waren.

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Schutzraumpflicht

Ende der 60-er Jahre wurde jeder Haushalt verpflichtet, für einen Schutzraum zu sorgen und eine Bevorratung für 14 Tage im Hause zu haben.

Da das Schaffen von Schutzräumen für Bürger der Altstadt nicht möglich war, wurde zwischen 1971 und 1976 für ca. 40 Millionen Schweizer Franken eine riesige, über sieben Stockwerke gehende Zivilschutzanlage in den Sonnenberg gebaut. Sie bestand aus zwei Teilen: das Herz der Anlage bildeten die beiden Autotunnels, die im Ernstfall zum Schutzraum umgebaut werden sollten. Der Tunnel sollte von vier riesigen Panzertüren verschlossen werden, und hätte über eine Schleuse betreten werden können. Direkt über den Röhren befand sich das logistische und technische Zentrum mit Notspital. Im Ernstfall sollten die Räumlichkeiten vom Zivilschutz innerhalb zwei Wochen für die Beherbergung von Menschen eingerichtet werden.

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Leben im Tunnel: Schutz oder Gefängnis?

Unser Rundgang führt uns in ein beängstigendes Szenario. Besonders betroffen macht der Schauraum mit den Unterkünften. 64 Menschen hätten hier dicht an dicht in einer sogenannten Liegeeinheit nebeneinander schlafen  sollen. Platz für Privatsphäre war nicht vorgesehen. Ca. 700 Menschen hätten sich die sanitären Anlagen teilen müssen. Alleine für’s Zähneputzen hätte man stundenlang anstehen müssen. Das Problem der Toiletten, die nur durch einen Vorhang abgetrennt waren, hätte man durch spezielle Plastiktüten, in die man seine Notdurft verrichtet hätte, gelöst.

Über seine Schlafstatt hinaus hätte jede Person einen Quadratmeter für sich gehabt.

Guide Claudio berichtet, dass man sich auch Gedanken gemacht habe, was bei Agressivität so vieler Menschen auf geringem Raum zu tun gewesen wäre: ein Zurückdrehen der Sauerstoffzufuhr hätte die Menschen viel ruhiger und schläfriger gemacht.

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Sicherheitsdienst

Bei 20.000 Menschen in einer Anlage war natürlich auch an einen Sicherheitsdienst gedacht worden. So gab es auch Arrestzellen, die tatsächlich 2007 zum Einsatz kamen. Durch die Auslosung für die Fussball-EM 2008 fanden  in der Schweiz Tumulte und Proteste statt. 300 Demonstranten waren in der Anlage inhaftiert worden. Hier zeigte es sich, wie mangelhaft die Konstruktionen waren: Lüftung und Toiletten funktionierten nicht richtig, was zu einem Skandal führte.

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Hospital

Hochinteressant ist auch die Besichtigung des Hospitals, welches über drei Stockwerke gebaut wurde. Krankenzimmer und zwei Operationssäle samt Röntgenstation waren vorhanden, alles in gelb und grün gestrichen um Natur und Sonnenschein zu vermitteln. Das Zimmer für Säuglinge ist in „beruhigendem Rosa“ gehalten.  Makaber zu sehen, wie eine Puppe auf einem OP-Tisch mit grünen Tüchern bedeckt liegt.

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Übungen “Ameise” und “Lazarus”

Claudio Birnstiel erzählt uns zum Schluss von den einzigen Übungen, die 1987 hier statt gefunden hatte. 250  Tonnen Material sollten  in den Tunnel geschafft und mit kleinen Handwagen verteilt werden. Der Kran war bereits nach 3 Stunden beschädigt, die Zivilschützer wussten nicht,  wie sie die Arbeit organisieren sollten. Zum krönenden Abschluss stellte man dann fest, dass drei der vier Panzertore niemals hätten geschlossen werden können.

Diese beiden Übungen stießen auf großes nationales und internationales Medieninteresse.

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Rückbau der Anlage

2006 fand anlässlich des 30. Jahrestages der Anlage ein Aktionstag statt. Die gesamte Anlage wurde zurückgebaut, die siebenstöckige Kaverne sollte als Schutzraum für 2000 Personen  übrig bleiben.  2008 beschloss die Stadt Luzern, die Zivilschutzanlage als einzigartigen Zeitzeugen mit dem Projekt „Unterirdisch überleben“ der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

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Licht, Luft und Gedanken

Die Zeit scheint hier unten so still zu stehen wie die Uhr, auf der man einen roten Schalter sieht: rot bedeutet Tag, schwarz heisst Nacht.

Zurück geht es über viele Stufen aus dem Berg heraus. Zwischendurch hören wir den Lärm der Autobahn und können in einem Abschnitt sogar durch ein Gitterfenster die vorbeirasenden Autos im Tunnel sehen.  Ich bin froh, als ich wieder ans Tageslicht komme und frische Luft atmen kann. Hochinteressant aber auch gleichzeitig bedrückend war die Besichtigung dieser beeindruckenden Anlage.

Wie gut, dass unsere Welt, wenigstens  was  Atomwaffen der Supermächte angeht, ein stückweit vernünftiger geworden ist und dass diese Anlage niemals hat wirklich benutzt werden müssen.

Denn egal wie technisch ausgefeilt die Sonnenberganlage auch gewesen sein mag: der Mensch selbst und das Überleben in Würde wäre hier viel zu kurz gekommen.

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Aussicht

Ein herzliches Dankeschön geht an MrBonBon, der mir zum Abschied verrät, dass er für den Herbst ein neues Projekt geplant hat: die Besichtigung der Bunkeranlage im  Gotthardtunnel, bei welchem man auch einen vorher nicht öffentlich zugänglichen Schacht zu sehen bekommen soll.

Ich werde auf jeden Fall Ausschau nach dem Publish dieses Events halten!

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4 Antworten

  1. AJoS sagt:

    Danke für den klasse Bericht. Die Anlage war wirklich beeindruckend und machte zu mindestens mich nachdenklich, was wohl im Falle des Falles passiert wäre.
    Gruss AJoS

    PS: 2008 war eine EM, keine WM 🙂

  2. Wuselelfe sagt:

    Danke für den Hinweis AJoS :-), habe die EM gleich verbessert!

  3. Brummelbärin sagt:

    Hallo, ich konnte ja als Frau von Herrn Brummelbär leider nicht mitfahren – wurde ja auch nicht gefragt, gell Herr Mr. Mohn?! Aber jemand muss ja auch die Kinder hüten….
    Deshalb bin ich um so dankbarer für den Bericht. Jetzt weiß ich wenigstens, um was es genau ging! Schöne Bilder und interessanter Text, vielen Dank!
    LG
    Annette

  4. Markus Meier sagt:

    Die anlage hätte in 2 wochen bezugsbereit sein sollen. Nicht in zwei Tagen. Aber auch 2 wochen sind ein ehrgeiziges ziel. Insbesondere mit zivilschutzpersonal ist das nicht machbar. Super bericht mit tollen fotos.